Familienbegleitung: Wie eine Mutter ihren Alltag mit sieben Kindern meistert.
FOTO: MICHAEL STAUDT
„Aua“ – Max (Namen der Familienmitglieder geändert) sitzt auf dem Rasen. Auf seinem linken Bein liegt sein Fahrrad, mit dem er gerade noch zwischen der Holzschaukel und dem blauen Trampolin mit dem abgewetzten Sicherheitsnetz hindurch gesaust ist. Seine Mutter Marie Petersen beruhigt ihn: „Gar nicht schlimm. Ist noch alles dran?“ Sie greift dem Jungen mit den braunen, lockigen Haaren unter die Arme und hebt ihn auf die Füße. „Mama, guck mal“ – Sohn Ben hält ihr eine Schnecke unter die Nase. In dem Moment läuft Marvin vorbei. „Der Kater ist abgehauen“, ruft er und verschwindet durch die Gartentür.
Aus der Ruhe bringt Marie Petersen diese Aufregung nicht mehr. Die 37 Jahre alte Flensburgerin ist Mutter von sieben Kindern. Neben dem elfjährigen Marvin gehören die fünf Jahre alten Zwillinge Julian und Sebastian, der vier Jahre alte Ben und die drei Jahre alten Drillinge Max, Julia und Laura zur Familie. Marie Petersen ist alleinerziehend.
Die siebenfache Mutter erinnert sich noch gut daran, wie es war, als sie die Drillinge bekommen hat, kurz vor dem Burn-out stand und merkte, dass sie Hilfe braucht. Marie Petersen lebte damals in Dänemark. Max und Julia lagen in Apenrade im Krankenhaus, Laura erkrankte am Humanen Respiratorischen Synzytial-Virus und musste ins 130 Kilometer entfernte Odense verlegt werden. Der Spagat zwischen dem Bangen um die Neugeborenen und den Bedürfnissen der älteren Kinder begann. Dazu kam ein Umzug nach Deutschland und die Trennung vom Vater der Kinder. „Es war ein Überlebenskampf“, sagt Petersen. Irgendwann war die Erschöpfung überwältigend. Anstatt abends zu schlafen, weinte sie. Immer wieder fragte sie sich, was passieren würde, wenn sie zum Jugendamt gehen und um Hilfe bitten würde.
Der gefürchtete Termin lief besser als erwartet. Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes stellte den Kontakt zum Agakan-Zentrum in Flensburg her. Rebecca Kinsky und ihr Team bieten unter anderem sozialpädagogische Familienhilfe und Flexhilfen in Beratungsfunktion für Familien an. Das bedeutet: Das Agakan-Zentrum arbeitet zusammen mit den Klienten am Familiensystem sowie an den Familienstrukturen. Das Motto lautet: Gemeinsam lösen wir das Problem.
Mit dieser Hilfe hat Marie Petersen ihre Schwierigkeiten in den Griff bekommen. Das Vorurteil, dass Familien, die Hilfe brauchen, immer am Rand der Gesellschaft leben, ärgert sie. Denn Marie Petersen ist ein Beispiel dafür, dass es jeden treffen kann: Sie gehört zur Mittelschicht, hat Deutsch und Dänisch als Fremdsprache sowie Naturtechnik auf Lehramt studiert. Dennoch war sie alleine mit sieben kleinen Kindern überfordert. „Kein Job war so anspruchsvoll“, sagt sie. Trotzdem: „Ich liebe alle meine Kinder und kämpfe bis zum Schluss für sie.“
Dazu gehört für sie, Hilfe anzunehmen. Sie bespricht die Aufgaben des Tages mit ihrer Flexhilfe, die sie in 13 Stunden in der Woche im Alltag unterstützt. Das kann Hilfe beim Wäschewaschen sein oder die Betreuung von einigen Kindern, damit jedes von ihnen regelmäßig die ungeteilte Aufmerksamkeit der Mutter bekommen kann.
Es war nicht ihr Wunsch, sieben Kinder zu haben, gibt Petersen zu. Sie hatte sich zu den vier Jungs ein Mädchen gewünscht – „das es gleich Drillinge werden, konnte ich nicht ahnen“.
Marie Petersen wirkt reflektiert, als sie mit zwei geflochtenen Zöpfen und in Jeansjacke auf ihrem Sofa sitzt. Auch das Haus ist dafür, dass hier sieben kleine Kinder wohnen, aufgeräumt. Vor der Haustür steht ein Schild „Familie ist, wo das Leben beginnt und die Liebe niemals endet.“ Auf dem Küchentisch liegen Buntstifte und ein unvollendetes Bild. Das Wohnzimmer schmücken Fotos der Kinder. Im Haus ist es ruhig. Nur ab und zu hört man laute Kinderstimmen oder Getrampel auf der Treppe ins Obergeschoss. Im Hintergrund singt ein Junge ein Lied in Kindersprache: „Hayup“.
Das ist Julia Pistulke, der Flexhilfe von Agakan, zu verdanken. Sie zeigt der Mehrlingsmutter Strategien, wie sie ihren Alltag besser bewältigen kann. Außerdem kümmert sie sich beispielsweise um die Lütten, während die Mutter das Mittagessen vorbereitet. Fischstäbchen mit Kartoffelmus und Gemüse gibt es heute. Die 37-Jährige legt Wert auf eine ausgewogene Ernährung. Deswegen bereitet sie jeden Morgen die Brotdosen der Kinder vor, sticht Figuren in die Wurst oder legt mal ein frischgebackenes Pizzabrötchen dazu. Außerdem kocht sie selbst. Pasta und Suppen stehen bei den Kindern hoch im Kurs.
Während sie erzählt, kommt Marvin in den Raum, wühlt in einer Schublade, schließt sie, geht zur nächsten. „Was machst du da?“, fragt seine Mutter. „Ich suche mein Ladekabel.“ – „Das liegt oben.“ – „Achso.“ Genauso leise, wie er gekommen ist, geht der Elfjährige wieder. Es geht harmonisch zu an diesem Vormittag.
Es ist nicht immer so ruhig im Hause Petersen, denn der Alltag mit sieben Kindern birgt viele Herausforderungen. „Das Tagesziel ist 19 Uhr“, sagt die Mutter. „Dann sind alle Kinder im Bett und ich habe noch zwei, drei Stunden für mich. Das brauche ich.“
Marie Petersen hat viel geschafft in den vergangenen drei Jahren. Sie hat gelernt, ihren Alltag zu meistern. 40 Stunden Unterstützung in der Woche hat sie auf 13 reduziert. Aus der sozialpädagogischen Familienhilfe wurde eine flexible Haushaltshilfe. Laut Rebecca Kinsky, Trägerleitung vom Agakan-Zentrum für soziale Hilfen, bildet die jahrelange vertrauensvolle Zusammenarbeit die Basis für die weitere Kooperation. Kinsky lobt die Mutter: „Ich habe allergrößten Respekt vor der Lebensaufgabe, die Frau Petersen alltäglich zu erfüllen hat.“